Von der Redaktion – 1. März 2022
„Die Politik, die ich empfehlen würde, ist die, die Ronald Reagan angewendet hat, im Iran und Irak (Iran-Irak-Krieg 1980-88). Er finanzierte beide Seiten, sodass sie gegeneinander kämpften und nicht gegen uns.“
So äußerte sich George Friedman vom US-amerikanischen Think Tank STRATFOR in einem YouTube Video (von einer Pressekonferenz am 3. Februar 2015). Das Video enthält ergänzende Äußerungen von Condoleezza Rice (ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin 2001-2005 und US-Außenministerin 2005-2009).
George Friedman ist Gründer und war von 1996-2015 Chef des Thinktanks STRATFOR. „STRATFOR verdient mit politischen, ökonomischen und militärischen Risikoeinschätzungen sein Geld. Was die Berichte von westlichen Medien und Regierungsstellen unterscheidet, ist, dass sie die Lage weitaus weniger ideologisch verzerrt und manipuliert wiedergeben, denn die Kunden sind hauptsächlich die Abteilungen in den Großkonzernen, die strategische Investitionsentscheidungen zu fällen haben und deshalb eine realistische Grundlage für ihre Planung brauchen und keine nach politischem Gutdünken gefärbte.” (Rainer Rupp) Auch in militärischen Kreisen soll Friedman eine Rolle spielen. Friedmans Empfehlungen entsprechen weitgehend der tatsächlichen Politik der USA.
Die deutschen Untertitel im Video enthalten verschiedene Übersetzungsfehler. Nachfolgend eine verbesserte Übersetzung des deutsch-amerikanisches Ehepaar D. und G. Pumphrey vom 17.03.2015:
»Kein Ort kann auf Dauer friedlich bleiben. Auch die USA nicht. Wir haben ständig Kriege. Europa wird, wie ich vermute, zwar nicht zu den großen Kriegen zurückkehren, aber es wird wieder zum menschlichen Normalfall zurückkehren: es wird seine (ihre) Kriege haben, seine (ihre) Friedenszeiten, und sie (die Europäer) werden ihre Leben leben. Es wird keine 100 Millionen Tote geben, aber die Vorstellung, Europa sei eine Ausnahmeerscheinung, wird zuerst sterben.
Es wird Konflikte in Europa geben, es gab schon Konflikte, in Jugoslawien und jetzt auch in der Ukraine. Was Europas Beziehungen zu den Vereinigten Staaten betrifft – wir haben keine Beziehungen mehr mit „Europa“. Wir haben Beziehungen mit Rumänien, wir haben Beziehungen mit Frankreich, aber es gibt kein „Europa“, mit dem man Beziehungen haben kann.
Der islamistische Extremismus ist ein Problem für die Vereinigten Staaten, aber keine existenzielle Bedrohung. Man muss sich damit befassen, man muss sich damit angemessen befassen. Wir haben andere außenpolitische Interessen. Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse war sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt.
Wenn sie ein Ukrainer sind, werden sie Ausschau danach halten, wer Ihnen als einziger helfen kann – und das sind die Vereinigten Staaten. Letzte Woche, oder etwa vor 10 Tagen war der Oberbefehlshaber der „US-Army Europe” General Ben Hodges zu Besuch in der Ukraine. Er kündigte dort an, dass US-Ausbilder in die Ukraine demnächst offiziell kommen sollen, nicht nur inoffiziell. Er hat dort tatsächlich Orden an die ukrainischen Kämpfer verteilt, obwohl es gegen militärisches Protokoll ist, dass Soldaten Orden von fremden Armeen annehmen. Doch er tat das, weil er damit zeigen wollte, dass die ukrainische Armee seine Armee ist. Dann ging er weg und verkündete in den Baltischen Staaten, dass die Vereinigten Staaten Panzer, Artillerie und andere Militärausrüstung in den baltischen Staaten, Rumänien, Polen und Bulgarien in Stellung bringen würden. Das ist ein sehr interessanter Punkt. Und gestern haben die Vereinigten Staaten angekündigt, dass sie vorhaben, Waffen in die Ukraine zu liefern, das wurde in der Nacht wieder dementiert, aber sie tun das, die Waffen werden geliefert. Und bei all diesen Handlungen agieren die Vereinigten Staaten außerhalb des Rahmens der NATO, weil NATO Entscheidungen von allen NATO-Mitgliedern einstimmig getroffen werden müssen und jedes Land ein Veto einlegen kann. (Die Türken machen das schon aus Jux.) Der Punkt bei der ganzen Sache ist, dass die USA ein „Cordon Sanitaire“, einen Sicherheitsgürtel um Russland herum aufbauen. Und Russland weiß das.
Russland glaubt, die USA beabsichtigen die Russische Förderation zu zerschlagen. Ich denke, wir wollen sie nicht töten, sondern ihnen nur ein wenig weh tun. Jedenfalls sind wir wieder beim alten Spiel. Und wenn sie einen Polen, Ungarn oder Rumänen fragen, die leben in einer ganz anderen Welt als die Deutschen, und diese in einer ganz anderen Welt als die Spanier. Es gibt keine Gemeinsamkeit in Europa. Aber wenn ich Ukrainer wäre, würde ich genau das tun, was diese tun: versuchen die Amerikaner hineinzuziehen.
Die Vereinigten Staaten haben ein fundamentales Interesse. Sie kontrollieren alle Ozeane der Welt. Keine andere Macht hat das jemals getan. Aus diesem Grund können wir in andere Länder eindringen, aber sie können das nicht bei uns. Das ist eine schöne Sache. Die Aufrechterhaltung der Kontrolle über die Ozeane und im Weltall ist die Grundlage unsere Macht. Der beste Weg eine feindliche Flotte zu besiegen ist zu verhindern, dass diese gebaut wird. Der Weg, den die Briten gegangen sind, um sicherzustellen, dass keine europäische Macht die Flotte bauen konnte, ist, dass die Europäer einander bekämpften. Die Politik, die ich empfehlen würde, ist die, die Ronald Reagan angewendet hat, im Iran und Irak (Iran-Irak-Krieg 1980-88). Er finanzierte beide Seiten, sodass sie gegeneinander kämpften und nicht gegen uns. Es war zynisch, bestimmt nicht moralisch, aber es funktionierte.
Und das ist der Punkt: die Vereinigten Staaten sind nicht in der Lage, ganz Eurasien zu okkupieren. In dem Moment, wo unsere Stiefel den Boden berühren, sind wir demographisch zahlenmäßig unterlegen. Wir können eine Armee besiegen, aber wir sind nicht in der Lage den Irak zu besetzen. Die Idee, dass 130 000 US Soldaten ein Land mit 25 Millionen Menschen okkupieren…Das Verhältnis zwischen der Anzahl der Polizisten und der Einwohner von New York ist größer als das Verhältnis von US Soldaten und der irakischen Bevölkerung. Also sind wir nicht in der Lage, überall militärisch zu intervenieren, aber wir sind in der Lage, erstens, gegeneinander kämpfende Mächte zu unterstützen, damit sie sich auf sich selbst konzentrieren können. Sie zu unterstützen, politisch, finanziell, militärisch und mit Beratern. Im äußersten Fall können wir das tun was wir in Japan, nein, in Vietnam, im Irak und in Afghanistan taten, mit „Störangriffen” intervenieren.
„Störangriffe“ zielen nicht darauf den Feind zu besiegen, sondern den Feind aus dem Gleichgewicht zu bringen, was wir in jedem dieser Kriege taten. In Afghanistan z.B. brachten wir Al Qaida aus dem Gleichgewicht. Das Problem das wir haben, da wir so jung und dumm sind, ist, dass wir die Feinde aus dem Gleichgewicht brachten, und anstatt zu sagen, „wir haben den Job gut gemacht, lasst uns nach Hause gehen“, sagten wir: „Mann das war aber leicht, lasst uns hier noch eine Demokratie aufbauen“. Das war der Moment unserer Geistesschwäche.
Deshalb lautet die Antwort, die USA können nicht ständig und überall in Eurasien militärisch intervenieren. Sie müssen selektiv intervenieren und möglichst selten. Das ist der Extremfall. Wir können nicht als ersten Schritt US-Truppen aussenden. Aber wenn wir es tun, dann muss uns klar sein, was die Mission ist, sie darauf begrenzen und nicht alle möglichen irren Phantasien entwickeln.
Hoffentlich haben wir das für dieses Mal verstanden. Kinder brauchen immer etwas Zeit um Lektionen zu lernen. Aber Sie haben absolut recht, wir als ein Imperium können das (überall intervenieren) nicht tun. Die Briten haben damals Indien nicht besetzt, sie haben einfach die einzelnen Staaten Indiens genommen und ließen sie gegeneinander kämpfen. Die Briten haben britische Offiziere bei der indischen Armee installiert. Die alten Römer haben auch keine riesigen Armeen in entlegene Regionen entsandt, sondern sie haben pro-römische Könige dort eingesetzt. Und diese Könige waren verantwortlich für die Aufrechterhaltung des Friedens, z. B. Pontius Pilatus. Also Imperien, die versuchen das ganze Imperium selbst zu regieren scheitern, wie es mit dem Nazi Imperium der Fall war. Niemand hat soviel Macht. Da muss man schon klug vorgehen.
Wie auch immer, das ist noch nicht unser Problem, sondern dass wir zugeben, dass wir ein Imperium haben. Wir haben den Punkt noch nicht erreicht, wo wir nicht glauben, wir könnten nach Hause gehen und alles wäre vorbei. Wir sind noch nicht einmal bereit für das dritte Kapitel des Buches.
Die Frage, die sich jetzt für die Russen stellt: Werden sie die Ukraine wenigstens als eine neutrale Pufferzone erhalten, oder wird der Westen soweit in die Ukraine vordringen, dass er nur noch 100 km von Stalingrad und 500 Km von Moskau entfernt ist. Für Russland ist der Status der Ukraine eine existenzielle Bedrohung. Und die Russen können das nicht ignorieren. Und wie weit werden die USA gehen, falls Russland sich weiterhin an die Ukraine klammert?
Es ist kein Zufall, dass General Hodges, der ernannt wurde, um für all dies gerade zu stehen, davon spricht Truppen in Rumänien, Bulgarien, Polen und den baltischen Staaten in Stellung zu bringen, dem Intermarum, dem Territorium zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee, wie Pilsudski es erträumte. Für die USA ist das die Lösung.
Die Frage, auf die wir keine Antwort haben, ist, wie wird Deutschland sich verhalten. Die unbekannte Variable in Europa sind die Deutschen. Während die USA diesen Sicherheitsgürtel aufbauen, nicht in der Ukraine, sondern westlich davon und die Russen einen Weg suchen, den westlichen Einfluss in der Ukraine zu zurückzudrängen – wissen wir nicht wie die deutsche Haltung ausfallen wird.
Deutschland befindet sich in einer sehr eigenartigen Lage. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt im Aufsichtsrat von Gazprom. Die Deutschen haben eine sehr komplexe Beziehung zu den Russen. Die Deutschen wissen selbst nicht was sie tun sollen. Sie müssen ihre Waren exportieren, die Russen können ihnen ihre Waren abnehmen. Andererseits, wenn sie die Freihandelszone verlieren, dann müssen sie etwas anderes aufbauen. Die Urangst der USA ist, dass deutsches Kapital und deutsche Technologien sich mit russischen Rohstoffen und russischer Arbeitskraft verbinden – eine einzigartige Kombination, vor der die USA seit Jahrhunderten eine Höllenangst haben.
Wie wird sich das also abspielen? Die USA haben ihre Karten bereits auf den Tisch gelegt: die Linie zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer. Die russischen Karten lagen schon immer auf dem Tisch: Das Mindeste was sie brauchen ist eine neutrale Ukraine, keine pro-westliche. Weißrussland ist eine andere Frage.
Wer mir nun sagen kann, was die Deutschen tun werden, der kann mir auch sagen, wie die Geschichte der nächsten zwanzig Jahre aussehen wird. Aber leider haben sich die Deutschen noch nicht entschieden. Und das ist immer das Problem Deutschlands. Wirtschaftlich sehr mächtig, geopolitisch sehr fragil. Und es weiß nie wie es beides versöhnen kann. Seit 1871 ist das die deutsche Frage, die Frage Europas. Denken Sie über die deutsche Frage nach, denn sie kommt jetzt wieder auf uns zu. Ihr müssen wir uns jetzt stellen und wir wissen nicht wie. Wir wissen nicht was die Deutschen tun werden.«