Von Mazelis – 28. April 2023
Die New Yorker Philharmonie hat ihr Programm für die Aufführungen im städtischen Kunstzentrum Lincoln Center ganz im Stillen völlig umgestaltet. Der russische Dirigent Tugan Sokhjev sollte ursprünglich die berühmte 7. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch (auch bekannt als Leningrader Sinfonie) dirigieren. Diese Aufführung wurde jedoch abgesagt, und Sokhiev wird nicht auftreten. Stattdessen wird James Gaffigan u.a. ein Werk des ukrainischen Komponisten Walentin Silwestrow, Prokofjews 3. Sinfonie und Rachmaninoffs 3. Klavierkonzert dirigieren. Noch vor einigen Monaten hat die Philharmonie Tickets für die Konzerte im Mai verkauft, auf denen eindeutig „Leningrader Sinfonie“ stand. Irgendwann wurde dies geändert, ohne dass jedoch die Ticketshalter darüber informiert wurden. Die Pressestelle des Orchesters erklärte diese Woche auf Nachfrage zuerst, es handle sich um „künstlerische Entscheidungen“; einen Tag später war von „Planungskonflikten“ die Rede. Ein Blick auf Sokhjevs Terminplan zeigt, dass er an diesen Tagen tatsächlich die Münchner Philharmonie dirigieren wird. Allerdigns geht es hier um mehr als nur um einen Terminkonflikt. Sokhiev war seit 2014 und bis letztes Jahr Musikdirektor und Hauptdirigent des Moskauer Bolschoi-Theaters, außerdem seit 2008 Musikdirektor des Orchestre National du Capitole de Toulouse in Frankreich. Vor einem Jahr sollte er in New York ein Programm mit Musik russischer Komponisten dirigieren, das etwa einen Monat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine plötzlich abgesagt wurde. Das Orchester gab eine Pressemitteilung heraus, in der es hieß, „aus Rücksicht auf die derzeitige globale Lage“ werde Sokhjev das Programm nicht dirigieren. Weiter stand da, die Entscheidung beruhe auf Gegenseitigkeit. Allerdings hatte Sokhiev, wie die WSWS damals betonte, in der Angelegenheit wohl kaum etwas zu sagen. Gleichzeitig hieß es letztes Jahr in der Pressemitteilung, die Philharmonie „freut sich darauf, Sokhiev in der nächsten Saison zu begrüßen“. Jetzt hat zwar die neue Saison begonnen, doch die „derzeitige globale Lage“ – ein Euphemismus für den NATO-Stellvererkrieg in der Ukraine – dauert weiter an. Und mehrere NATO-Mitgliedsstaaten fordern ihre weitere Eskalation. Das ist der wahrscheinlichste Grund für den plötzlichen „Terminkonflikt“.
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