Ein Artikel von Jürgen Hübschen – 15. Januar 2024
Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht, so heißt es im § 78 des deutschen Strafgesetzbuches. Gilt dieser Grundsatz nur im Inland, oder ist er auch gegenüber Mördern im Ausland relevant? Diese Frage stellt sich im Zusammenhang mit deutschen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien in Bezug auf den De-facto-Herrscher des Königsreichs am Golf, Kronprinz Mohammed bin Salman.
Kurzer Rückblick auf wesentliche Ereignisse in Saudi-Arabien seit 2011
Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr
Im Jahr 2011 gab es auch in Saudi-Arabien Demonstrationen im Zusammenhang mit dem sogenannten „Arabischen Frühling“. Wichtigster Anführer der Proteste war der schiitische Geistliche Nimr al-Nimr, der die Abspaltung der östlichen Regionen Katif und Al-Ihsaa befürwortet hatte, weil dort in dem sunnitisch dominierten Königreich die rund zwei Millionen Schiiten des Landes leben. Für seine Aktionen wurde der Prediger verhaftet, 2014 wegen Aufwiegelung, Ungehorsam und Waffenbesitz zum Tode verurteilt und im Januar 2016 mit weiteren 46 Angeklagten hingerichtet. Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei drohte daraufhin mit „der Rache Gottes“. Es kam zu großen Demonstrationen in Teheran, die dazu führten, dass die saudische Botschaft in Brand gesteckt wurde. Letztlich führte diese Entwicklung zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, die erst 2023 wieder aufgenommen wurden.
Der saudische Krieg gegen den Jemen
Zwischenzeitlich hatte Saudi-Arabien auf Weisung von Kronprinz Mohammed bin Salman im März 2015 den Jemen angegriffen. Die Operation „Sturm der Entschlossenheit“ richtete sich gegen die Huthis, die vom Iran unterstützt wurden und werden. Nach mehr als sieben Jahren Krieg gab es 2022 erste Verhandlungen zwischen den Huthis und Saudi-Arabien, auch, weil Riad den Kampf nicht für sich entscheiden konnte. Aktuell gibt es einen Waffenstillstand, aber die Gespräche sind wohl momentan ins Stocken geraten. Nach einem UN-Bericht aus dem Jahr 2021 starben im Jemen bislang 377.000 Menschen, davon 70 Prozent Kinder unter fünf Jahren. 24 Millionen Jemeniten, also 80 Prozent der Bevölkerung, sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, 2,2 Millionen Kinder leiden nach UNICEF-Angaben an Unterernährung.
Die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi
Am 2. Oktober 2018 wurde der saudische Journalist Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. Er hatte dort Dokumente für seine Hochzeit mit einer Türkin abholen wollen. Nach einem Bericht der CIA wurde die Ermordung Kashoggis vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) nicht nur gebilligt, sondern angeordnet. Auch der US-Senat hatte MbS einstimmig in einer Resolution als „verantwortlich für den Mord Kashoggis“ bezeichnet.
Die Bundesregierung reagierte auf die Ermordung des Journalisten bereits im November 2018 mit klaren Maßnahmen. Sie stoppte alle Rüstungsexporte in das Königreich und verhängte gegen 18 saudische Staatsangehörige Einreisesperren. Die Betroffenen stünden mutmaßlich in Verbindung zu der Tat, so hatte der damalige Außenminister Heiko Maas die Maßnahme am Rande eines EU-Treffens in Brüssel begründet. Bei den betroffenen Personen handelte es sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes um das mutmaßliche 15-köpfige Mordkommando sowie um drei weitere Personen, die im Verdacht stehen, an der Organisation des Mordes mitbeteiligt gewesen zu sein.
Den Stopp der Rüstungsexporte begründete die Bundesregierung neben der Ermordung Kashoggis zusätzlich mit dem saudischen Krieg im Jemen.
Die neue Politik der Bundesregierung gegenüber Saudi-Arabien
Jetzt hat die Bundesregierung in ihrer Politik gegenüber Saudi-Arabien eine Kehrtwendung um 180 Grad vollzogen und den Exportstopp für deutsche Waffen aufgehoben.
Sie hat der von Großbritannien geplanten Lieferung von 48 Eurofightern zugestimmt. Diese Genehmigung war erforderlich, weil Deutschland neben Italien und Spanien an diesem Rüstungsprojekt beteiligt ist. Die deutsche Außenministerin verwies bei ihrem aktuellen Besuch in Jerusalem darauf, dass die saudische Luftwaffe gegen Israel gerichtete Raketen der Huthi-Miliz im Jemen abschieße. Damit trage Saudi-Arabien maßgeblich auch in diesen Tagen zur Sicherheit Israels bei und dämme die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes ein, sagte Frau Baerbock nach Gesprächen mit Israels Präsidenten Izchak Herzog und Israel Katz, dem neuen Außenminister des Landes. „Gerade deshalb sehen wir nicht, dass wir uns als deutsche Bundesregierung den britischen Überlegungen zu weiteren Eurofightern für Saudi-Arabien entgegenstellen“, erklärte die Ministerin.
Zusätzlich will Deutschland 150 Luft-Luft-Lenkflugkörper vom Typ „IRIS-T“ an das Königreich liefern, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit bestätigte.