Von Peter Schwarz – 28. Februar 2024
Liest man die Kommentare über die Abschlussgala der diesjährigen Berlinale, fragt man sich unwillkürlich: Werden in Deutschland bald wieder Bücher verbrannt? Weil einige Preisträger und Juroren den Mut hatten, die Dinge beim Namen zu nennen, anstatt Sprachrohr der Herrschenden zu sein, werden sie behandelt wie Kriminelle.
Dass der Film „No Other Land“, der die brutale Vertreibung palästinensischer Dorfbewohner im Westjordanland dokumentiert, sowohl den von einer Jury vergebenen Dokumentarfilmpreis wie den Publikumspreis für Dokumentarfilme erhielt, war den Sittenwächtern in den Redaktionen und Parteizentralen zu viel.
Als dann die beiden Autoren des Films, der Israeli Yuval Abraham und der Palästinenser Basel Adra, auch noch das Massaker in Gaza und die Apartheid in Israel verurteilten, Jury-Mitglieder einen Waffenstillstand forderten und ein anderer Preisträger mit Palästinensertuch auftrat, kannte die Empörung keine Grenzen mehr.
„Peinlich, beschämend, verstörend und propagandistisch,“ zeterte Christian Tretbar, der Chefredakteur des Tagesspiegel. „Die Schande von Berlin“, titelte die Süddeutsche Zeitung. Die Welt geiferte gegen „ein realitätsblindes Milieu“, das „in aparter Selbstbesoffenheit die große Bühne für seinen Antisemitismus suchte“. Man kann die Liste beliebig fortsetzen.
Obwohl die israelische Armee in viereinhalb Monaten mehr als 30.000 Palästinenser ermordet, zwei Millionen vertrieben, ausgehungert und ihre Häuser sowie Krankenhäuser, Schulen und Moscheen systematisch zerstört hat und eine weitere Offensive gegen Rafah plant, wo 1,5 Millionen dicht zusammengedrängt leben, gilt allein schon der Ruf nach einem Waffenstillstand als „Antisemitismus“.
Der Ruf nach Gleichschaltung und Unterdrückung ist allgegenwärtig. Die öffentliche Kunstförderung soll in ein Werkzeug der Zensur verwandelt werden. „Es muss klargestellt werden: Für Antisemitismus gibt‘s kein Staatsgeld,“ fordert der Grünen-Politiker Volker Beck. Und die Welt erklärt: „Die Tatsache, dass dafür Geld der Steuerzahler ausgegeben wird, ist unentschuldbar.“
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lässt prüfen, ob es zu strafrechtlich relevanten Äußerungen gekommen sei. Und der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner, forderte auf X: „Ich erwarte von der neuen Leitung der Berlinale, sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen.“
Es ist klar, dass es hier nicht nur um die Berlinale geht, sondern um die Unterdrückung der Freiheit jeglicher künstlerischen Tätigkeit. Wenn man der Kunst verbietet, die Wahrheit zu sagen, ist sie nicht Kunst, sondern Staatspropaganda.
Die Folgen der Kampagne gehen aber noch weiter. Sie ist für die Betroffenen lebensgefährlich. „No Other Land“-Regisseur Yuval Abraham musste seine Rückreise nach Israel am Tag nach der Preisverleihung in Griechenland abbrechen, weil, wie er auf seinem X-Account berichtet, „ein rechtsgerichteter israelischer Mob gestern zum Haus meiner Familie kam, um nach mir zu suchen, und enge Familienmitglieder bedrohte, die mitten in der Nacht in eine andere Stadt flohen“. Er selbst erhalte auch weiterhin Todesdrohungen.
Der Grund, so Abraham, sei die absurde Bezeichnung seiner Berlinale-Preisrede als „antisemitisch“. „Der entsetzliche Missbrauch dieses Wortes durch die Deutschen, nicht nur um palästinensische Kritiker Israels, sondern auch Israelis wie mich zum Schweigen zu bringen, die einen Waffenstillstand unterstützen, der das Töten in Gaza beendet und die Freilassung der israelischen Geiseln ermöglicht, entleert das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung und gefährdet damit Juden in der ganzen Welt.“