Von Karin Leukefeld – 15. April 2024
„Ich bin Dr. Ghassan Abu Sitta. Ich komme gerade aus Deutschland zurück, wo man mir die Einreise verweigert hat. Ich wollte an einer Konferenz in Deutschland teilnehmen, um über den Krieg in Gaza zu sprechen. Ich sollte als Zeuge über meine Arbeit als Arzt sprechen, der in den Krankenhäusern in Gaza gearbeitet hat.“ Ghassan Abu Sitta sitzt in einem Auto, das ihn vom Flughafen abgeholt hat. Es ist Freitag gegen Abend, der 12. April 2024. In der Hand hält der Arzt ein Mikrophon von Middle East Eye (MEE), einem in England ansässigen Internetportal, das in englischer und französischer Sprache Nachrichten über den Nahen und Mittleren Osten veröffentlicht. Ruhig und überlegt berichtet der Arzt, was ihm am Berliner Flughafen widerfahren ist, eindringlich blicken seine Augen durch die großen, dunkel gerahmten Brillengläser.
„Heute Morgen um 10.00 Uhr landete ich in Berlin, um an einer Konferenz zu Palästina teilzunehmen. Wie viele andere aus Großbritannien (UK), den USA und Europa war ich gefragt worden, dort zu über die 43 Tage zu berichten, die ich in Krankenhäusern in Gaza verbracht habe. Ich habe dort sowohl im Shifa-, als auch im Ahli-Krankenhaus gearbeitet. Bei meiner Ankunft wurde ich an der Passkontrolle gestoppt. Dann hat man mich in den Keller des Flughafens gebracht, wo ich 3,5 Stunden befragt wurde.
Am Ende dieser 3,5 Stunden sagte man mir, ich dürfe deutschen Boden nicht betreten. Dieses Verbot gelte für den gesamten April. Aber nicht nur das. Sollte ich versuchen, mich per Zoom oder FaceTime mit der Konferenz in Verbindung zu setzen, selbst wenn ich außerhalb von Deutschland sei, oder sollte ich ein Video mit meinem Vortrag an die Berliner Konferenz senden, sei das ein Vergehen gegen deutsches Recht. Ich liefe Gefahr, eine Geldstrafe zu erhalten oder bis zu einem Jahr im Gefängnis zu landen. Dann sagte man mir, ich solle einen Rückflug nach England buchen. Mein Pass wurde mir abgenommen und ich erhielt ihn erst zurück, als ich das Flugzeug bestieg.“
Der Mann, Ghassan Abu Sitta, dem die deutschen Behörden die Einreise verweigerten, der nicht einmal per Internet mit dem Palästina-Kongress Kontakt aufnehmen sollte, zu dem er als Redner eingeladen war, ist Chirurg und auf plastische Chirurgie spezialisiert. Als Freiwilliger für Medecins sans Frontiere (MSF) ist Abu Sitta bereits auf vielen Kriegsschauplätzen im Einsatz gewesen. In Gaza war er bei den Angriffen der israelischen Armee 2009, 2014, 2021 und zuletzt wieder nach Beginn des Krieges am 7. Oktober 2023 tätig.
43 Tage arbeitete Ghassan Abu Sitta zunächst im Shifa-Krankenhaus in Gaza Stadt und im Ahli-Krankenhaus, auch bekannt als das „Englische Krankenhaus“ oder das „Baptistenkrankenhaus“, das älteste Krankenhaus im Gazastreifen. Gegründet wurde es 1882 von Quäkern, als Gaza und arabische Gebiete zum Osmanischen Reich gehörten. Unter dem britischen Mandat wurde die Klinik von den Engländern übernommen und wird heute vom Ökumenischen Rat der Kirchen – World Council of Churches – zusammen mit der Anglikanischen Kirche in Großbritannien geleitet.
Ghassan Abu Sitta ist Palästinenser mit britischer Staatsangehörigkeit. Er lebt und arbeitet in Großbritannien und wurde erst kürzlich zum Direktor der Universität Glasgow gewählt. Seine Familie wurde 1948 – im Zuge der Nakba – aus Palästina vertrieben. Sein Onkel Salman Abu Sitta, bekannt für seine Dokumentation von Palästina und Vorschläge für eine Rückkehr der Palästinenser, war damals 10 Jahre alt.