Von Fyodor. A. Lukyanov – 28. Juni 2024
Die westlichen Medien suggerieren ihren Konsumenten fast täglich, alle Informationen und Kommentare aus Russland seien reine Propaganda. Das ist nicht nur ihrerseits reine Propaganda, sondern auch reiner Unsinn. Auf der russischen, russisch- und englischsprachigen Plattform Russia in Global Affairs erscheinen regelmäßig lesenswerte Analysen der gegenwärtigen geopolitischen Situation und wie sie entstanden ist – oft auch mit durchaus selbstkritischer Komponente. Der Chefredakteur dieser Plattform, Fyodor A. Lukyanov, gehört zu jenen, die versuchen, reines Schwarz/Weiss-Denken zu vermeiden. Hier als Beispiel sein neuster Beitrag. (cm)
Russlands damaliger Außenminister Andrej Kosyrew unterzeichnete am 22. Juni 1994 in Brüssel das NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“. Dies markierte den Beginn der offiziellen Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und dem von den USA geführten Block (zuvor hatten die UdSSR und die NATO im Rahmen des Nordatlantischen Kooperationsrates einen politischen Dialog geführt, der jedoch erst einige Tage vor der Auflösung der Sowjetunion gegründet wurde).
Die Geschichte der Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO war recht reichhaltig und interessant. Im Laufe der Jahre gab es eine seltsame Mischung aus guten Absichten, politischer Heuchelei und gegenseitigen Missverständnissen, die manchmal natürlich und manchmal absichtlich entstanden waren. Experten sprechen oft von ungenutzten Chancen zwischen den beiden Seiten, aber das ist umstritten. Tatsächlich gab es nie eine wirkliche Chance, eine echte Partnerschaft zwischen Russland und der NATO aufzubauen, auch wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt gewisse Illusionen dazu gab.
Das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ diente ursprünglich einem doppelten Ziel: Es war eine Alternative zur NATO-Mitgliedschaft, aber auch ein vorbereitender Schritt für den Beitritt zu dieser Organisation (zumindest für einige Länder). Als das Programm ins Leben gerufen wurde, war eine endgültige Entscheidung über die Erweiterung der NATO noch nicht gefallen. Die Diskussionen in Washington wurden fortgesetzt, aber die Waage neigte sich im Allgemeinen zugunsten einer Ausweitung der Tentakel.
Russland lehnte die Idee ab, war aber nicht konsequent. Kosyrew warnte vor den Folgen der Erweiterung der NATO, sagte aber immer wieder, dass die NATO nicht der Feind Russlands sei. Der russische Präsident Boris Jelzin riet den westlichen Staatsoberhäuptern davon ab, den Block zu erweitern, sagte aber gleichzeitig dem polnischen Präsidenten Lech Walesa, Moskau sei nicht gegen einen Beitritt Warschaus. Zu dieser Zeit sah die Initiative „Partnerschaft für den Frieden“ wie ein lebensrettender Kompromiss aus. Doch zwei Jahre später gab die NATO verbindlich bekannt, dass sie die erste Gruppe ehemaliger kommunistischer Staaten aufnehmen werde.
[Zum Originalartikel von Fyodor A. Lukyanov auf Russia in Global Affairs].