IInterview mit Mohssen Massarrat, emer. Professor für Sozialwissenschaften, Osnabrück*
Interview: Karl-Heinz Peil – 28. Januar 2019
F.J: Herr Prof.
Massarrat, wodurch ist der iranisch-israelische Konflikt entstanden und welche
der beiden Seiten hat tatsächlich Gründe dafür, sich bedroht zu sehen?
M.M.: Der iranisch-israelische Konflikt entstand
einerseits dadurch, dass der Iran sich nach der Islamischen Revolution klar
gegen die israelische Besatzung Palästinas positionierte, und andererseits,
weil Israel mit seinem Atomarsenal als einzige Atommacht im Mittleren und Nahen
Osten eine nukleare Bedrohung auch für den Iran darstellte. Insofern kann man
von einer beidseitigen Bedrohung sprechen, die der Sturz der Monarchie im Iran
hervorrief. Es ist überdies auch offensichtlich: Israel als einzige Atommacht
im Mittleren und Nahen Osten hat mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit bei der Entstehung des iranischen Atomprogramms eine
zentrale Rolle gespielt. Ungeachtet dieser Tatsache haben die USA und die EU –
anstatt im Sinne einer den Konflikt entschärfenden Strategie und der Eindämmung
nuklearer Weiterverbreitung den Weg zu einer regionalen atomwaffenfreien Zone
einzuschlagen – sich dafür entschieden, einseitig Iran als eine neue regionale
Atommacht zu verhindern und damit das Atommonopol ihres Verbündeten Israel
aufrechtzuerhalten.
FJ: Wie wahrscheinlich ist dabei eine militärische
Eskalation?
M.M.: Israel unterstützt, seit Iran den Aufbau eines
eigenen Atomprogramms aufgenommen hat, alle Bemühungen der USA zu einem Regime
Change im Iran. Inzwischen hat sich auch Saudi Arabien in derselben Richtung
voll auf der israelischen Seite hinzugesellt. Beide Staaten sehnen sich ohne
Zweifel nach einem Regime Change im Iran, notfalls auch durch einen Krieg. Doch sie trauen sich selbst auf keinen Fall
zu einem Alleingang zu diesem Schritt. Sie würden sich jedoch lieber heute als
morgen an einem US-Krieg gegen den Iran beteiligen. Rein theoretisch wäre auch
denkbar, dass Israel oder Saudi Arabien einen kriegerischen Alleingang
provozieren, allerdings in der Hoffnung, dass dann den USA nichts anderes übrig
bleibt, als nachzuziehen. Ob sich jedoch die USA trotz der
Kriegsbefürworter John Bolton und Mike
Pompeo im Trump-Team zu einem Krieg gegen den Iran in der Lage sehen und einen
solchen Krieg mit allen seinen Folgen auch wirklich wollen, steht auf einem
anderen Blatt. Es ist ziemlich klar, dass die US-Machteliten im Umkreis des
militärisch industriellen Komplexes einen solchen Krieg entschieden anstreben.
Trump selbst entfernt sich jedoch offensichtlich immer stärker von einem Krieg
gegen den Iran. Es wäre auch höchst widersprüchlich, den Rückzug des US-
Militärs aus Syrien und Afghanistan anzukündigen und gleichzeitig einen Krieg
gegen den Iran anzustreben. Mit seiner Äußerung im Dezember 2018, die USA seien
nicht der Weltpolizist im Mittleren Osten, signalisierte Trump jedenfalls
andere Ziele als einen neuen Krieg. Durch die Zuspitzung des Atomkonflikts mit
Iran und den massiven Rüstungsexporten an Saudi Arabien und Israel hat Trump
die Rüstungsindustrie vorerst mit genügend Aufträgen versorgt und seinen
Wählern neue Arbeitsplätze beschert. Das neue Wettrüsten im Mittleren Osten hat
damit ohnehin reichlich Nahrung erhalten, die Spirale von Öl gegen Waffen ist
also für weitere Jahre in Gang gesetzt. Insofern kann auch ein Krieg gegen den
Iran auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Das ist auch vielleicht der Grund
für das betretene Schweigen von Israel und Saudi Arabien gegenüber der neuen
Trump-Politik.
FJ: Donald Trump setzt offenbar darauf, dass die im
November 2018 eingeleitete zweite Etappe der Wirtschafts- und Finanzsanktionen
den Iran in die Knie zwingen werden. Wie realistisch ist das?
M.M.: Der Iran hat mit US-Sanktionen seit der Islamischen
Revolution 1979 langjährige Erfahrungen. Selbst Obama hatte gegen iranische
Ölexporte Sanktionen verhängt, die erst nach dem Inkrafttreten des
Atomabkommens aufgehoben wurden. Zwar muss jetzt damit gerechnet werden, dass
Irans Ölexporte von ca. 3 Millionen Barrel am Tag – übrigens ähnlich wie damals
schon durch Obamas Sanktionen – auf die Hälfte schrumpfen werden. Zu einer
vollständigen Austrocknung der Öleinnahmen für das Land wird es aller
Wahrscheinlichkeit nach jedoch nicht kommen. Für diese Annahme spricht auch die
Tatsache, dass selbst in der gegenwärtigen harten Sanktionsetappe acht Staaten,
darunter Japan, Indien, Südkorea und damit die wichtigsten Importeure des
iranischen Öls, von den Sanktionen ausgenommen sind – offensichtlich unter dem
Druck von moderaten Kräften im Trump-Team selbst oder durch Einflussnahme der
europäischen Verbündeten der USA. Trotz seiner Ankündigung zum militärischen
Rückzug aus Syrien und aus der Region insgesamt, wird Trump ziemlich sicher
seine Politik der Schwächung der islamischen Republik durch ökonomische Sanktionen
und politische Subversion fortsetzen und die Dauerkrise im Iran weiter puschen.
FJ: Politische Unruhen gegen die Elite der Islamischen
Republik flackerten ja in der Vergangenheit wiederholt auf. Die neuen
Sanktionen dürften sicherlich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wieder
anheizen. Welche innenpolitische Entwicklung kann sich daraus ergeben?
M.M.: Die Unzufriedenheit der überwältigenden Mehrheit der
iranischen Bevölkerung schreit zum Himmel, nicht wegen der neuen US-Sanktionen,
sondern vor allem wegen der neoliberalen Politik der Umverteilung von unten
nach oben und wegen der grassierenden Korruption. Seit Monaten erlebt die
islamische Republik eine anhaltende Streikwelle, weil zahlreiche staatliche und
private Unternehmen die Löhne der Beschäftigten nicht zahlen können. Auf Grund
fehlender politischer Alternativen schlägt sich die massive Unzufriedenheit der
Bevölkerung nicht in einer wirksamen
Oppositionspolitik gegen die Machtelite des Landes nieder. Denkbar ist aber
eine erneute spontane Rebellion, die sich flächendeckend und massiv ausbreiten
könnte. In einem solchen Fall rechne ich damit, dass die Pasdaran, die
mächtigen Revolutionsgarden der islamischen Republik, mit der Rückendeckung des
Revolutionsführers die gewählte
Regierung absetzen und selbst Regierungsaufgaben übernehmen, um mit ein paar
Reförmchen die Gemüter zu beruhigen und die schlimmsten ökonomischen und
sozialen Folgen der Politik des Präsidenten Rouhani zu beheben. Diese
Alternative dürfte jedoch in erster Linie der Systemstabilität dienen und mit
neuen Repressionen gegen die ohnehin sehr schwache Opposition einhergehen. Die
realen Machtverhältnisse lassen so oder so einen echten Regime Change von innen
kaum zu.
FJ: Welche Rolle könnten Deutschland und die EU bei diesem
Konflikt noch spielen? Oder ist die EU faktisch bereits völlig eingeknickt
gegenüber der US-Politik?
M.M.: Es dürfte Trump schwerfallen, in den USA einen
innenpolitischen Konsens für einen Krieg gegen Iran herzustellen, wenn klar
ist, dass er sich eine massive Ablehnung der EU einhandeln würde. Deshalb
müsste die EU schon jetzt erklären, dass sie einen Krieg gegen Iran ablehnt und
sich nicht an ihm beteiligen wird.
Schließlich und endlich wäre es anlässlich des Konflikts
um das Iran-Atomabkommen angebracht, dass die EU ankündigt, alsbald die
UN-Konferenz für eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Mittleren und
Nahen Osten zu reaktivieren, die 2012 durch die USA und Israel blockiert worden
war. Dafür müsste allerdings erst der Strukturfehler des UN-Beschlusses behoben
werden, wonach die Teilnahme aller betroffenen Staaten zur Voraussetzung der
Konferenz gemacht worden war. Diese Vorbedingung wurde jedoch durch die USA und
Israel als Veto zur Verhinderung der Konferenz missbraucht. Deshalb müsste diese
Bedingung, die zur Selbstblockade führt, ersatzlos gestrichen werden.
Stattdessen müsste die Konferenz zunächst durch die Teilnahme von willigen
Staaten beginnen, um dann, in einem späteren Stadium, sämtliche betroffene
Staaten einzubeziehen.
Diese Perspektive bietet sich auch geradezu für die Aufarbeitung und Regelung vieler anderer Konflikte im Mittleren und Nahen Osten an, beispielsweise den Syrien-Konflikt. Damit könnte der seit langem von außen in die Region hineingetragenen Politik der Spaltung und Vertiefung von religiösen und ethnischen Feindschaften, des regionalen Wettrüstens und zahlreicher Kriege endlich ein Ende gesetzt werden.
*Quelle: Friedensjournal Jan.-Feb. 2019 Nr. 1