Von Ralph Bosshard – 11. Dezember 2023
Wie bereits im vergangenen September vorhergesagt, verlor die ukrainische Sommeroffensive Ende Oktober aufgrund der hohen Personalverluste an Schwung und die ukrainische Armee war gezwungen, die Intensität der Kampfhandlungen zu senken. Seit Beginn November müssen die Ukrainer nun Geländeverluste hinnehmen, nachdem die Initiative an die Russen übergegangen ist. Mit dem Schwinden der militärischen Handlungsoptionen der Ukraine droht dem Westen nun der Bedeutungsverlust.
Bezeichnend ist die Entwicklung der militärischen Lage rund um die nordwestlich von Donetsk gelegene Stadt Avdiivka (russisch Avdeevka). Die jahrelang zwischen den Fronten gelegene Wasserfiltrierstation (WFS) der Vodadonbassa bei Kashtanove ist in den letzten Wochen in die Hand der Russen übergegangen, inklusive der Wald westlich davon, aus welchem die ukrainischen Regierungstruppen verschiedene Male die Station selbst und deren Mitarbeiter beschossen hatten. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Russen den Vorort Vinogradniki, wo die Ukrainer acht Jahre lang Zeit gehabt hatten, sich zur Verteidigung einzurichten, einnahmen. Auch erwähnenswert ist die Einnahme des Abraumhügels nordöstlich der Koksfabrik von Avdiivka, die wohl zu einer eigentlichen Festung ausgebaut wurde.
Die Vorstöße der Russen zeigen, was ihre Absicht in den nächsten Tagen ist: Sie legen es darauf an, die Nachschubstraßen zur Koksfabrik unter Kontrolle zu bringen, nachdem sie schon vor geraumer Zeit an die Eisenbahnlinie aus Nordwesten vorgerückt waren. Von ihren taktischen Angriffszielen, den Straßen nördlich und südöstlich von Orlivka/Orlovka sind sie noch rund drei bzw. zwei Kilometer entfernt. Schon bald dürften die Russen in der Lage sein, diese Straßen auch mit Flachbahnwaffen von Panzern und Schützenpanzern aus zu beschießen und den Nachschub in die Koksfabrik so zum Erliegen zu bringen. Ob die Baumreihen, welche die Felder in diesem flachen Gelände voneinander abtrennen, im Winterhalbjahr als Sichtschutz dienen, ist nur durch einen Eindruck vor Ort abzuklären. Natürlich werden die Ukrainer nun alle verfügbaren Reserven nach Orlivka verlegen, was die Russen kurzfristig vielleicht für Vorstöße andernorts nutzen. Es kann folglich noch dauern, bis die russischen Truppen auf Orlivka vorrücken. Grund zur Eile gibt es nicht.