Von Jean Shaoul – 17. Januar 2023
Am Samstag demonstrierten trotz starken Regens 100.000 Israelis auf dem Habima-Platz in Tel Aviv. Sie protestierten gegen die Pläne von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, das Rechtssystem des Landes zu ändern und den Obersten Gerichtshof zu schwächen. Diese und weitere Demonstrationen mit Tausenden von Teilnehmern in Jerusalem, Haifa und Rosch Pina im Nordwesten des Landes sind die bei weitem größten Proteste gegen die Regierung seit Jahren. Viele Demonstranten trugen israelische Flaggen, andere jedoch auch selbstgemachte Plakate, auf denen sie vor „Faschismus“, „Putsch“, einer „kriminellen Regierung“, dem „Ende der Demokratie“, Angriffen auf demokratische und soziale Rechte und Korruption warnten. Sie wandten sich auch gegen Netanjahus Rückkehr an die Macht. Auf einem Plakat hieß es: „Eher sterben wir, bevor wir die Demokratie aufgeben.“ Andere trugen palästinensische Flaggen. Dabei hatte der neue Minister für nationale Sicherheit und Vorsitzende der Partei Jüdische Stärke, Itamar Ben-Gvir, die Polizei angewiesen, hart gegen das Zeigen palästinensischer Flaggen im öffentlichen Raum durchzugreifen. Die Anordnung erfolgte, nachdem am vorletzten Samstag mehrere Teilnehmer einer egierungsfeindlichen Demonstration in Tel Aviv palästinensische Flaggen geschwenkt hatten. Netanjahu und seine rechtsextremen Verbündeten hatten dies scharf kritisiert. Die Demonstrationen am Samstag waren deutlich größer als die Proteste in der Woche zuvor. Sie zeigten die wachsende Beunruhigung und Wut jüdischer und palästinensischer Israelis über das politische Programm von Netanjahus rechtsextremer Regierungskoalition. Ihr gehören neben Likud auch die drei faschistischen und rassistischen Parteien Religiöser Zionismus, Jüdische Stärke und Noam, sowie die beiden rechten religiösen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum an. Ihre politische Agenda umfasst eine Vormachtstellung der Juden, Gesetze nach dem Vorbild der Apartheid, die Annektierung großer Teile des Westjordanlandes, die Ausweitung illegaler Siedlungen, jüdische Gebete in der al-Aqsa-Moschee und die Rücknahme von Maßnahmen gegen Diskriminierung. Die Umsetzung all dieser Zielvorstellungen erfordert eine umfassende Änderung des israelischen Rechtssystems.