Von Jean Shaoul – 11. Juli 2024
Laut der israelischen Tageszeitung Haaretz haben die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) in den drei Militärbasen, die am 7. Oktober von der Hamas überfallen wurden, die Hannibal-Richtlinie ausgegeben, um die Gefangennahme von Soldaten auch auf Kosten von deren Leben zu verhindern. Die Befehle wurden in Gebäuden angewandt, von denen bekannt war, dass darin Geiseln festgehalten wurden.
Die Hannibal-Richtlinie wurde 1986 während der israelischen Besetzung des südlichen Libanon formuliert, nachdem mehrere IDF-Soldaten entführt und durch sehr umstrittene Gefangenaustauschaktionen freigelassen worden waren. Sie wurde lange Zeit geheim gehalten und ihr Inhalt nie veröffentlicht. Sie sollte mit allen Mitteln verhindern, dass israelische Soldaten in feindliche Gefangenschaft geraten, wobei auch ihr Tod in Kauf genommen wird. Sie wurde mehrfach überarbeitet und im Jahr 2016 offiziell aufgegeben.
Die Anwendung der Richtlinie während des Angriffs am 7. Oktober, um die Entführung israelischer Staatsbürger zu verhindern, stellt eine Eskalation der angeblich aufgegebenen Politik dar und impliziert, dass die IDF lieber alle Israelis töten sollten, als zuzulassen, dass sie in die Hände der Hamas fallen.
Haaretz-Artikel vom 7. Juli 2024: „IDF befahl Hannibal-Direktive am 7. Oktober, um zu verhindern, dass die Hamas Soldaten gefangen nimmt“
In den neun Monaten, die seither vergangen sind, haben die IDF jede Aussage darüber verweigert, ob sie die Richtlinie auch bei zivilen Geiseln angewandt haben. Die Haaretz hat Dokumente und Zeugenaussagen ausgewertet, laut denen dieser und andere Befehle für einen Großteil der 1.222 Opfer verantwortlich waren, die am 7. Oktober getötet wurden – darunter Juden, israelische Palästinenser und Beduinen.
Bisher ist noch unbekannt, wie viele Zivilisten und Soldaten durch israelischen Beschuss getötet wurden, zumindest teilweise, weil keine Autopsien durchgeführt wurden, durch die die Todesursache und etwa die Art der eingesetzten Waffen hätte festgestellt werden können.
Laut dem offiziellen Narrativ der rechtsextremen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, das von seinen imperialistischen Hintermännern getreulich wiederholt wird, war die „Al-Aqsa-Flut“ am 7. Oktober ein unerwarteter und beispiellos barbarischer Angriff der Hamas, bei dem 1.222 Menschen getötet wurden. Er lieferte die notwendige Rechtfertigung für einen Krieg, der seit langem mit endlosen Provokationen gegen die Palästinenser angestrebt worden war, und dessen Ziel die Vernichtung der Hamas und die Durchführung eines Völkermordes im Gazastreifen sind.
Nur wenige Tage nach dem Angriff begann das Lügengebäude zu bröckeln. Es stellte sich heraus, dass die Operation alles andere als unerwartet kam, da Militär und Geheimdienste mehrfach gewarnt worden waren und den Grenzschutz bewusst zur Untätigkeit angewiesen hatten. Nach dem Angriff kam es durch eine massive Militäroperation der IDF zu zahlreichen Todesopfern. Am 20. Oktober identifizierte Haaretz 331 getötete Soldaten und Polizeibeamte sowie weitere dreizehn Militärangehörige in Folge des Angriffs. Später wurde diese Zahl auf 377 Soldaten und Polizisten erhöht.