Von Wolfgang Effenberger – 17. Juni 2022
Am Dienstag 14. Juni 2022 war das Gespräch von Papst Franziskus veröffentlicht worden, das er am 19. Mai im Vatikan mit den Chefredakteuren jesuitischer Zeitschriften aus verschiedenen europäischen Staaten geführt hatte. Aus der Runde der Redakteure wurde der Papst um Rat im Umgang mit dem Angriffskrieg in der Ukraine gebeten. Unverzüglich wies das Oberhaupt der Katholiken die Redakteure an, sich vom üblichen Schema des „Rotkäppchens“ zu lösen: „Rotkäppchen war gut, und der Wolf war der Bösewicht. Hier gibt es keine metaphysisch Guten und Bösen auf abstrakte Art und Weise.“ Franziskus verwies auf die Gefahr, dass „wir nur das sehen, was ungeheuerlich ist, und nicht das ganze Drama, das sich hinter diesem Krieg abspielt, der vielleicht in gewisser Weise entweder provoziert oder nicht verhindert wurde. Und ich registriere das Interesse am Testen und Verkaufen von Waffen. Das ist sehr traurig, aber darum geht es ja offensichtlich.“ Der Papst ging auch auf den Vorwurf ein, er sei pro Putin. „Nein, das bin ich nicht. So etwas zu sagen, wäre vereinfachend und falsch“, um dann noch einmal darauf hinzuweisen, dass er dagegen ist, „die Komplexität auf die Unterscheidung zwischen Guten und Bösen zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind“. Ein kurzer Blick auf die acht Tage vor dem Angriff vom 24. Februar 2022 sind sehr aufschlussreich. Der Bericht der OSZE-Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine vom 15. Februar verzeichnete 41 Explosionen in den Waffenstillstandsgebieten. „Diese Zahl erhöhte sich auf 76 Explosionen am 16. Februar, 316 am 17. Februar, 654 am 18. Februar, 1413 am 19. Februar, insgesamt 2026 am 20. und 21. Februar und 1484 am 22. Februar. Aus den Berichten der OSZE-Mission geht hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Einschläge der Artillerie auf der separatistischen Seite der Waffenstillstandslinie stattfand“.