Von Sybille Fuchs – 20. Dezember 2023
Am 20. Dezember 1963 wurde im Frankfurter Rathaus, dem Römer, das „Verfahren gegen Mulka und andere“ eröffnet. Fast zwanzig Jahre nach Kriegsende und den Nürnberger Prozessen, in denen die Führungselite Hitlers verurteilt wurde, mussten sich in diesem Verfahren zum ersten Mal in der Bundesrepublik Deutschland einige der persönlich und unmittelbar an der Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus Beteiligten vor Gericht verantworten. Der Prozess endete am 19. August 1965.
Wir veröffentlichen hier einen Artikel über den Prozess, der erstmals im März 2004 auf der WSWS erschien. Damals wurde im Haus Gallus in Frankfurt am Main eine vom Fritz-Bauer-Institut erstellte Ausstellung zum 40. Jahrestag des Auschwitzprozesses eröffnet. Die Verhandlungsprotokolle erschienen damals als DVD-Edition.
Späte Ermittlungen
Richter: Was sahen Sie vom Lager
Zeuge2: Nichts
Ich war froh, dass ich wieder wegkam
Richter: Sahen Sie die Schornsteine am Ende der
Rampe
und den Feuerschein
Zeuge2: Ja
Ich sah Rauch
Richter: Was dachten Sie sich dabei
Zeuge2: Ich dachte mir das sind die Bäckereien
Ich hatte gehört, da würde Tag und Nacht Brot
gebacken
Es war ja ein großes Lager
(Peter Weiss: Die Ermittlung, Frankfurt 1965)
Bekanntlich ist die gerichtliche Aufarbeitung des Naziregimes und seiner ungeheuerlichen Verbrechen alles andere als ein Ruhmesblatt der bundesdeutschen Justiz. Die Widerstände gegen derartige Prozesse waren innerhalb der Justiz und unter der politischen Elite der fünfziger und sechziger Jahre erheblich.
Von den drei führenden KZ-Kommandanten von Auschwitz lebte zu Prozessbeginn keiner mehr. Rudolf Höss und Arthur Liebehenschel waren 1947, entsprechend einer Absprache unter den Alliierten, in Polen verurteilt und hingerichtet worden. Andere Hauptverantwortliche, wie der berüchtigte KZ-Arzt Mengele, konnten fliehen und in Südamerika untertauchen. Richard Baer, der letzte Lagerkommandant von Auschwitz, weigerte sich während der Voruntersuchung zum Frankfurter Prozess, irgendeine Aussage zu machen. Er starb bereits in der Untersuchungshaft, daher kam es gegen ihn nicht mehr zur Anklage. In Frankfurt ging es deshalb nur um einige wenige Mitarbeiter dieser Kommandanten.
Aber vielleicht gerade, weil es nicht nur um die führenden SS-Leute, sondern um die „Handlanger“ ging, führte dieser Prozess und die ausführliche Berichterstattung in der Presse der bundesdeutschen Gesellschaft erstmals ein umfassendes Bild des scheinbar banalen Tagesablaufs der grauenvollen Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz vor Augen. Der Prozess trug daher nicht unwesentlich zur Politisierung der jüngeren Generation bei.