Von Johannes Stern – 4. März 2024
Führende deutsche Generäle und die Bundesregierung diskutieren konkret darüber, wie die Marschflugkörper vom Typ „Taurus“ in die Ukraine geliefert und von dort gegen russische Ziele eingesetzt werden können. Das geht aus einem etwa 30-minütigen Gespräch vom 19. Februar hervor, dass offenbar von russischen Geheimdiensten abgehört und am Wochenende vom russischen Nachrichtensender RT veröffentlicht wurde.
Am Gespräch beteiligt waren der Inspekteur der Luftwaffe Ingo Gerhartz, der Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando Luftwaffe Frank Gräfe und zwei Oberstleutnante des Weltraumkommandos der Bundeswehr namens Fenske und Florstedt. Die Militärs kamen nach eigener Aussage zusammen, um ein Treffen mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorzubereiten und mit ihm die Frage zu erörtern, ob und wie die „Taurus“ an Kiew geliefert und gegen die Atommacht Russland eingesetzt werden können.
Pistorius wolle mal „wirklich tief in Taurus einsteigen“, leitet Gerhartz das Gespräch ein. Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass er selbst die Entsendung und den Einsatz der Waffensysteme befürwortet und es ihm und den Militärs darum geht, Pistorius und die gesamte politische Führung davon zu überzeugen. Die ganze Diskussion über die Taurus komme immer wieder hoch, „weil keiner so richtig weiß, warum blockt der Kanzler hier“, beklagt er sich.
Über ihre Pläne, den Krieg gegen Russland weiter zu eskalieren, nehmen die Teilnehmer kein Blatt vor den Mund. Konkret geht es um Angriffe auf russische Munitionsdepots hinter der Front und die Zerstörung der logistisch und strategisch wichtigen Krim-Brücke, die seit 2018 die russische Region Krasnodar mit der Halbinsel Krim verbindet. Florstedt erklärt an einer Stelle, der Taurus sei besonders effektiv, um diese Ziele zu bekämpfen.
Die Brücke im Osten ist halt schwer zu erreichen, und die Pfeiler sind relativ klein, und das kann halt der Taurus darstellen, und die Mun[itions]depots – da kommen wir halt durch. Und wenn ich das jetzt berücksichtige und vergleiche, wie viele Storm Shadows [das britische Äquivalent des Taurus] und […] abgeschossen wurden, da hat man halt ein ganz gutes Alleinstellungsmerkmal.
Dann erklärt Fenske, der offenbar zusammen mit Florstedt beauftragt worden war, den Taurus-Einsatz genau durchzuspielen, dass weit mehr als ein Marschflugkörper nötig sei, um die Brücke zu zerstören. Diese sei „leider – aufgrund ihrer Größe – wie ein Flugplatz. Das heißt, es kann durchaus sein, dass ich dafür zehn oder zwanzig Flugkörper brauche.“ Gerhartz spricht davon „fünfzig in der ersten Tranche“ und dann ggf. nochmal weitere fünfzig Einheiten zu liefern.
Ein großer Teil des Gesprächs dreht sich darum, wie es gelingen kann, die „politische Sorge“ einer „zu direkten Beteiligung“ der Bundeswehr beim Einsatz der Taurus zu zerstreuen. Die Überlegung, die Zieldaten „von Polen aus mit dem Auto rüber“ in die Ukraine zu fahren, „damit es keiner mitkriegt“, wird „als nicht akzeptable Lösung“ verworfen. Genauso der Vorschlag, die Datenfiles statt von der Luftwaffe in Büchel einfach vom Taurus-Hersteller MDBA in Schrobenhausen erstellen zu lassen.
Gleichzeitig stimmen die Militärs darin überein, dass die volle Ausbildung ukrainischer Soldaten am Taurus anspruchsvoll und zeitaufwendig wäre. Fenske plädiert deshalb dafür: „Wenn es nachher um den Einsatz geht, dann wäre tatsächlich die Empfehlung, dass wenigstens die ersten Missions-Unterstützungen durch uns erfolgen werden, da die Planung doch sehr komplex ist.“
Andere Vorschläge, die diskutiert werden, sind nicht weniger brisant. Gräfe bringt, zumindest in der ersten Phase, bis die Ukrainer „selber komplett ausgebildet sind“, eine Zusammenarbeit mit Großbritannien ins Spiel. Die Expertise der britischen Armee, die „auch [ein] paar Leute vor Ort“ hätte, könnte genutzt werden, um der ukrainischen Armee die notwendigen Daten und Satellitenbilder zur Verfügung zu stellen.
An einer anderen Stelle wirft Gerhartz die Frage auf, ob die ukrainische Armee auf Grund der bereits bestehenden NATO-Unterstützung vor Ort, überhaupt auf direkte Daten aus Deutschland angewiesen sei. Man müsse „ja immer davon ausgehen, was die Ukrainer mittlerweile sonst alles machen“, erklärt er. „Wir wissen ja auch, dass da viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten rumlaufen. Das darf man sagen, dazu sind sie dann noch relativ schnell selbst in der Lage, weil die Satellitenaufnahmen, die haben sie alle.“